Zusammenfassung
Ziel der vorliegenden Untersuchungen war die Bewertung der Haltungsbedingungen von Kälbern unter Nutzung sensorgestützter Erfassungssysteme. Ausgehend von der Hypothese, dass das Haltungsverfahren Rein-Raus (RR) sich bei geringer Altersdifferenz der Tiere in einer homogenen Gruppe positiv auf die Entwicklung von Kälbern auswirkt und altersgerechten Bedürfnissen entspricht, wurden vergleichende Untersuchungen im kontinuierlichen Haltungsverfahren (KV) durchgeführt. Angenommen wurde, dass es bei verminderten Reinigungs- und Desinfektionsintervallen bei kontinuierlicher Ein- und Ausstallung von Kälbern unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Immunitätslage in den Vergleichsgruppen zu höherer Krankheitsinzidenz und Verhaltensabweichungen durch gestörte Ruhe innerhalb einer Tiergruppe kommt.
Grundlage für die Bewertung der Haltungsbedingungen war die Aufzeichnung ethologischer, klinischer, Wachstums- und klimatischer Parameter in den ersten Lebenswochen über einen Zeitraum von zwei Jahren (2006 bis 2008). In den Untersuchungen wurden 442 Fleckvieh-Kälber aus eigener Herkunft einbezogen. Die neugeborenen Kälber wurden nach 14-tägiger Einzelhaltung zufällig in eins der beiden Haltungssysteme RR oder KV eingestallt und in Tiefstreubuchten eines neuerbauten Außenklimastalls bei einer Gruppengröße bis zu 15 Tieren aufgezogen. Für die automatische Erfassung des lokomotorischen und Ruheverhaltens wurden 25 ALT-Pedometer eingesetzt. Zur Beurteilung der Vitalität wurden individuelle Beurteilungen des Allgemeinzustandes der Tiere, veterinärmedizinisch behandelte Erkrankungen sowie der immunologische Status (Kolostrum- und Serum-IgG-Konzentration) genutzt. Die Entwicklung der Kälber wurde anhand des Wachstums verfolgt (Körpermasse und –maße). Die Beurteilung des Stallklimas erfolgte mittels Lufttemperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit im Tierbereich. Während des Untersuchungszeitraumes wurde mit der Installation von Tränkeautomaten die Tränketechnik in den Gruppen zur vorherigen Verabreichung der Milchtränke per Eimer mit Saugnuckel geändert. Die Parameter wurden varianzanalytisch ausgewertet.
Die Untersuchungsergebnisse ergaben bei den Parametern mittlere lokomotorische Aktivität und Ruhedauer im Gruppenvergleich geringfügige Unterschiede zwischen den Haltungsverfahren. Bei automatisch getränkten Tieren wurde ein geringeres Aktivitätsniveau festgestellt. Die Variation des Ruheverhaltens wurde als geeigneter Indikator zur Bewertung der Haltungsverfahren angesehen, da mit steigender Variabilität der täglichen mittleren Ruhephasendauer und –wechsel Rückschlüsse auf altersgerechtes Verhalten gezogen werden konnten. Die im RR festgestellte signifikant längere Ruhephasendauer bestätigt bei Eimertränke die Konstellation der Tiere in einer homogenen Gruppe. Bei automatisch getränkten Kälbern erhöhte sich die Dauer im Altersverlauf. Männliche Kälber wiesen ein unruhigeres Verhalten bei signifikant geringerer Phasendauer und häufigerem Phasenwechsel auf.
Das lokomotorische Verhalten wurde im Tagesverlauf in stärkerem Maße durch Fütterungszeiten als durch die beginnende Lichtperiode beeinflusst. In den Abendstunden wurde eine etwa dreistündige lokomotorische Aktivität mit Tagesmaxima festgestellt, die angepasst an den Sonnenuntergang verlief. In den Wintermonaten adaptierten sich die Kälber durch höhere lokomotorische Aktivität an die Außentemperaturen. Die Zeitmuster der Aktivität waren bei Eimertränke von einer 24-Stunden Rhythmik charakterisiert, die sich mit zunehmendem Alter verminderte. Fütterungsabhängige Rhythmen waren im RR durch signifikant geringere Störungen der biologischen Rhythmik geprägt. Bei ultradianen Komponenten von 3- bis 12-Stunden Periodenlänge zeigten automatisch getränkte Tiere ein über den Tag verteiltes Nahrungsaufnahmeverhalten und bei altersabhängigen Schwankungen eine längere Anpassungsphase. Die an Kälbern gewonnenen Zeitreihen sind Indikatoren für die Erkennung von lokomotorischen Verhaltensabweichungen durch veränderte Gruppendynamik im kontinuierlichen Verfahren. Berechnungen des leistungsbezogenen Kopplungsgrades, der als Maß für die Harmonie zwischen internen Rhythmen und der externen 24-Stunden Periode genutzt wurde, ergaben bei Eimertränke einen geringen Belastungsgrad der Tiere. Der Einfluss von Belastungssituationen auf die Zeitstruktur der Aktivität verringerte sich bei Automatentränke mit zunehmendem Alter. Am stärksten führten haltungsbedingte Veränderungen bei kontinuierlich gehaltenen automatisch getränkten Tieren zu interner Desynchronisation der Rhythmik. Unter Nutzung des biologischen Aktivitäts- und Futteraufnahmerhythmus konnte mit hoher Genauigkeit eine Beeinträchtigung der Tiere durch Erkrankungen gezeigt werden. Um diese künftig bei der Gesundheitsüberwachung von Kälbern einzusetzen, sollten echtzeitliche Auswertungen der Messwerte ermöglicht werden.
Die Mortalitätsrate sank mit zunehmendem Alter und war nicht auf Haltungsmängel zurückzuführen. Vor der Umstallung der Tiere in die Gruppenhaltung wurde die höchste Morbiditätsrate festgestellt. Die Einschätzung des Allgemeinzustandes unter Nutzung der Vitalitätsbewertung bestätigt das Ergebnis. Respirations- und Gastrointestinalerkrankungen waren die häufigsten Ursachen für veterinärmedizinische Behandlungen, der Anteil männlicher Kälber war signifikant höher. Bei unzureichendem Gehalt kolostraler Immunglobuline wurde eine ausreichende Serum-IgG- und Gesamtprotein-Konzentration ermittelt. Einflüsse des Immunstatus auf die Morbiditätsrate konnten bei Kälbern in der Gruppenhaltungsphase nicht ermittelt werden.
Bei den Untersuchungen zur Entwicklung der Wachstumsleistung zeigten sich positive Effekte der im Rein-Raus-Verfahren aufgezogenen Kälber, wobei die Haltung im KV keine Leistungsdepression zur Folge hatte. Im dritten Monat wiesen automatisch getränkte männliche Tiere signifikant geringere Zunahmen als weibliche Kälber auf. Bei erkrankten Tieren wurde ein geringeres Wachstumspotential festgestellt. Mit den Messdaten des Brustumfangs konnten Richtwerte im Altersverlauf ermittelt werden, die sich bei hoher Korrelation als geeignet zur Schätzung der Körpermasse von Kälbern erwiesen. Abschließend lässt sich feststellen, dass weder höhere Erkrankungsraten durch hygienische Nachteile noch Wachstumsdepressionen in den unterschiedlichen Haltungsverfahren auftraten.
Die Einbeziehung der sich im Altersverlauf verändernden Verhaltens- und Gesundheitsparameter in die Bewertungsgrundlage von Haltungsverfahren erhöht die Sicherheit der Aussagekraft. Mit den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit wird die Weiterentwicklung praxisbezogener und wissenschaftlicher Bewertungssysteme der Haltungsbedingungen von Kälbern unterstützt.
Dissertation/ Ariane Fröhner/ August 2010
Quelle: Bayrische Landesanstalt für Landwirtschaft
Vollständige Disseration 184 S.; PDF (4,0 MB)